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Weiterentwicklungspotentiale

Wie geht es nach der Krise weiter – worauf müssen wir uns einstellen? Was können wir lernen?

​​​​​​​Konsequente „Auftechnisierung“ und entsprechende Schulungen in der Kinder- und Jugendhilfe

Alternative Beratungsformen werden aktuell – ergänzend zu weiterhin unerlässlichen persönlichen Kontakten – erprobt, umgesetzt und technische Voraussetzungen dafür geschaffen. Die aktuelle Krise leistet hier einer lange überfälligen Entwicklung Vorschub. Diese Entwicklung gilt es auch nach der Krise konsequent fortzuführen, Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe mit aller hierfür notwendigen Technik auszustatten und entsprechend zu schulen. Auch wenn persönliche Kontakte dann wieder in normalem Ausmaß möglich sind, werden solche Beratungssettings das Beratungsspektrum erweitern und niedrigschwellige Zugänge für verschiedenste Zielgruppen sicherstellen.

Niedrigschwellige Quer-Vernetzung zwischen Fachkräften unterschiedlicher Professionen sowie zwischen Fachkräften öffentlicher und freier Träger auf einheitlichen Plattformen

Frau Follmann, Kinderärztin am Westpfalzklinikum Kaiserslautern, skizziert für den Kinderschutz folgende Entwicklungsrichtung:

„Es wäre prima, auch jenseits von Corona, wenn sich alle im Kinderschutzbereich Tätigen innerhalb einer Region quervernetzen könnten. Es bräuchte niedrigschwellige Austauschmöglichkeiten, die den Austausch per Telefon und Email zu Einzelfällen (anonymisiert) sowie zu anderen Fragen ergänzen. In der Klinik verwenden wir z.B. den Messenger NetSfere – dieser wird den datenschutzrechtlichen Anforderungen gerecht, die Daten werden verschlüsselt weitergeleitet. Zum klinikinternen Informationsmanagement wird aktuell außerdem die Coyo-App genutzt: Alle Mitarbeiter*innen erhalten zeitnah Informationen über neue Regelungen, etwa zu Regularien zur Händedesinfektion oder zu Regelungen bzgl. Lieferdienste. Solche Medien sollten wir unbedingt nutzen in der Zukunft! In interdisziplinären virtuellen Netzwerken – bspw. in Form regionaler Gruppen mit Kinderärzten, Fachkräften aus Jugendämtern, bei Freien Trägern, in Kitas… - könnten verschiedene Dinge zur Diskussion gestellt, Beobachtungen eingestellt und Nachfragen dazu formuliert sowie Einschätzungen mitgeteilt werden – etwa in Chats. Solche Formen der niedrigschwelligen Kommunikation zwischen den Institutionen, um auf unkomplizierte und an konkreten Fragen orientierte Weise miteinander zu kommunizieren – würden die Kinderschutzarbeit vor Ort als interprofessionelle Aufgabe deutlich unterstützen. In der aktuellen Zeit könnten hierüber – etwa an einer virtuellen Pinnwand – Anfragen wie „Nimmt die Mutter-Kind-Einrichtung xy aktuell überhaupt neue Familien auf?“ gepostet und Antworten rasch zugestellt werden.“

 

Im Rahmen eines virtuellen Workshops mit zwölf Fachkräften von Jugendämtern und Freien Trägern am 23.04.20 wurde eine ähnliche Entwicklungsidee stark gemacht: Es gelte, die technischen Möglichkeiten zu nutzen. Momentan könnten Fachkräfte bei Jugendämtern aus datenschutzrechtlichen Gründen und aufgrund ihrer fehlenden technischen Ausstattung häufig nur telefonieren. Es bräuchte zum einen dringend

  • einer technischen Grundausstattung in Jugendämtern und bei Freien Trägern sowie
  • eines Messenger-Systems für Videotelefonie, das von Jugendämtern und Freien Trägern genutzt werden darf.

Dies würde den Austausch enorm vereinfachen und auch das Zuschalten von Dolmetscher*innen oder Kulturmittler*innen ermöglichen. Im Moment suchen einzelne Jugendämter und einzelne Freie Träger vor Ort nach Messengern, die den datenschutzrechtlichen Bestimmungen gerecht werden. Videokonferenzen zwischen öffentlichem und freiem Träger scheitern meistens daran, dass das System, das z.B. der Freie Träger nutzt, von den Kolleg*innen des öffentlichen Trägers nicht genutzt werden darf. Es bedarf einheitlicher Kommunikationsplattformen und idealerweise einer diesbezüglichen Empfehlung einer übergeordneten Behörde, damit nicht in jedem Jugendamt und bei jedem Träger individuell und mit unterschiedlichem Ergebnis geprüft werden muss. Es gilt also, so das Fazit, geprüfte Systeme zu streuen!

​​​​​​​Aufbau eines Fachforums für Kinderschutz-Fachkräfte

Darüber hinaus gilt es diese neuen Medien auch für die Fachkräfte-Beratung systematisch zu nutzen. Gerade in diesen Kontexten können solche Medien ein enormes Potential entfalten. Im Unterschied zu vielen Adressat*innen im Kinderschutz sind es Fachkräfte gewohnt, über das Medium Sprache oder Schrift komplexe Inhalte zu beraten. Den momentanen Schub, sich an solche Medien verstärkt heranzutrauen, sie inhaltlich zu nutzen, gilt es in nachhaltige Strukturen zu überführen. „Die Fachkräfte, die seit vielen Jahren bei uns Zertifikatskurse für insoweit erfahrene Fachkräfte im Kinderschutz absolvieren oder sich in inhaltlichen Vertiefungsseminaren zum Kinderschutz fortbilden, äußern schon lange den Bedarf, virtuelle Austauschforen zu etablieren, die Fallberatungen und Fachaustausch im Alltag ermöglichen“ so Ursula Teupe vom Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz gGmbH. „Gewünscht werden Fachkräfte-Chats, Fallberatungen in verschiedenen Formen – per Mail, per Videokonferenz, telefonisch, und zwar in unterschiedlichen Konstellationen, bilateral oder auch im virtuellen Team.“ Der Aufbau eines solchen Angebots – vergleichbar mit den verschiedenen Online-Beratungsangeboten der bkE für Adressat*innen, nur eben für Fachkräfte, würde Fachkräften aus der ganzen Republik und aus verschiedenen Handlungsfeldern die Möglichkeit eröffnen, wechselseitig von ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und ihren spezifischen Blickwinkeln zu profitieren. „So entstehen zahlreiche Fallreflexionsangebote, die von Fachkräften niederschwellig genutzt werden können – etwa weil Beratungszeiten per Videokonferenz in einem kleinen Team oder per Telefon auch in Randzeiten, ohne Fahrtwege und -zeiten genutzt werden können, weil Fachkräfte aus unterschiedlichen Diensten mühelos zusammengebracht und Mails mit spezifischen Fragen oder Dokumenten – etwa Stellungnahmen – zu jeder Zeit losgeschickt werden können, um dazu zeitnah ein individuelles Feedback zu erhalten oder weil der eigene Dienst für eine solche Beratung keine Kosten aufwenden muss. Außerdem könnte man das auf dieser Plattform zusammengetragene Fachwissen bündeln, immer wiederkehrende Fragestellungen aufgreifen, den Bogen zur Praxisforschung spannen und im Rahmen von Webinaren, Podcasts oder ähnlichen Formaten Grundlegendes aufbereiten und der Fachöffentlichkeit zur Verfügung stellen. Hierfür bräuchte es allerdings eine verlässliche Finanzierung, um ein entsprechendes Netzwerk für Fallreflexionen und Wissensmanagement aufzubauen und mit personellen sowie technischen Ressourcen auszustatten“, so Teupe.