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Migration & Integration

Kinder, Jugendliche, Mütter und Väter, die nach Deutschland zugewandert sind, stehen in der Corona-Krise zusätzlich zu all den Herausforderungen, die alle Familien derzeit zu bewältigen haben, mitunter – je nach individueller Migrationsbiographie und aktueller Lebenssituation - vor zahlreichen weiteren. Integration und gleichberechtigte soziale Teilhabe erfordern deshalb in der aktuellen Corona-Krise besondere Anstrengungen für zugewanderte Mitbürger*innen.

Sprachbarrieren, Wissensdefizite, mangelnde Beratungs- und Austauschmöglichkeiten

An erster Stelle zu nennen sind Sprachbarrieren, die den Zugang zu Sachinformationen erschweren, weshalb zugewanderte Mitbürger*innen schlechter über Corona und die geltenden Regelungen informiert sind. Bachouri vom Verein "Arbeit und Leben" in Dresden sieht ein Informationsdefizit auf Seiten von Migrant*innen in der Corona-Krise, und verweist bspw. darauf, dass selbst mit passablen Deutsch-Kenntnissen behördliche Begriffe nur schwer zu verstehen sind. (den gesamten Artikel des mdr lesen Sie hier). Umgekehrt sind verlässliche Informationen in der eigenen Muttersprache nur schwer zu finden.

Angst vor Stigmatisierung

Zusätzlich für Migrant*innen belastend kann eine Angst vor (weiterer) Stigmatisierung sein. So berichtet eine Fachkraft aus dem Bereich der ambulanten erzieherischen Hilfen von einer Mutter mit russischem Migrationshintergrund, die sich und ihre vier Kinder trotz eindeutiger und langandauernder Symptome nicht auf Corona testen lassen möchte, weil sie sich sorgt, dass die Nachbarn im Falle eines positiven Ergebnisses ein noch schlechteres Bild von ihr bekommen: „Dann bin ich nicht nur die alleinerziehende Russin, die ihren Mann verlassen hat, sondern noch dazu coronainfiziert.“ In der Arbeit von Antidiskriminierungsberatungsstellen in Baden-Württemberg sind Diskriminierungen, die im Zusammenhang mit dem Coronavirus erlebt werden, zahlreich. Und der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke, berichtet: „Wir erleben gerade, dass Menschen pauschal wegen ihres Aussehens oder ihrer Herkunft ausgegrenzt und benachteiligt werden“ (mehr dazu lesen Sie hier). Adis e.V. beschäftigen sich umfassend mit Folgen des Social Distancing in Kontexten, die im Normalzustand von sozialer Ausgrenzung geprägt sind. Sie möchten mit dem Text die Bedürfnisse und Interessen der Gruppen sichtbar machen, die von der aktuellen Krise in besonderer Weise betroffen sind. Entstanden sind dazu “Diskriminierungskritische Fragen und Quergedanken zum Umgang mit der Corona-Krise”, die Sie hier finden.

Bedarf nach Sicherheit in unsicherer Zeit

Menschen, die noch nicht so lange in Deutschland leben, befinden sich mitunter in einer Phase der „psychischen und sozialen Labilisierung“ (Sluzky, 2010, Psychologische Phasen der Migration. In: Hegemann/Salman (Hg): Handbuch transkulturelle Psychiatrie. Bonn, S. 108 – 123). Diese entsteht dadurch, dass vieles, was im bisherigen Alltag galt, nun brüchig geworden ist, gewohnte Bewältigungsstrategien nur bedingt hilfreich sind, neue aber noch nicht aufgebaut werden konnten oder auch durch fehlende Sprachkenntnisse und fehlendes Alltagswissen. Was Menschen in einer solchen Zeit brauchen, ist Sicherheit, stattdessen kommen in der aktuellen Corona-Krise weitere Verunsicherungen hinzu. Zudem geraten Integrationsprozesse ins Stocken: Integrationskurse wurden gestoppt, die schulische Ausbildung pausiert vielerorts und auch Migrant*innen sehen sich mit dem Thema Kurzarbeit konfrontiert, Beratungen zum Asylverfahren sind erschwert, Asylverfahren verzögern sich.

Prekäre Situation in Sammelunterkünften und für (unbegleitete und begleitete minderjährige) Flüchtlinge

Besonders prekär ist die Lage für Flüchtlinge in Sammelunterkünften. Räumliche Distanz und Hygiene sind die wirksamsten Maßnahmen für den Infektionsschutz. Genau das ist in diesen Unterkünften trotz aller Bemühungen kaum möglich. Entsprechend fordern Fachverbände – z.B. die Diakonie Rheinland Westfalen Lippe - Maßnahmen der Landesregierung, die für einen effektiven Gesundheitsschutz sorgen – z.B. die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen zur Entzerrung der beengten und gefährlichen Wohnsituation. Und Adis e.V. beschreiben in dem oben benannten Artikel, welch unterschiedliche Bedeutung der öffentliche Raum für verschiedene Gruppen hat – und welch unterschiedliche Konsequenzen deshalb der erzwungene Rückzug ins „Private“ – etwa in Sammelunterkünfte mit sich bringt. Das häufige Nicht-Vorhandensein von W-LAN in solchen Unterkünften - als ein bedeutsames Tor zur Außenwelt – ist hierbei nur ein Aspekt unter vielen.

Unabhängig der konkreten Wohnform sind (unbegleitete und begleitete minderjährige) Flüchtlinge eine besonders vulnerable Gruppe auch in Zeiten der Corona-Krise. Ausgangssperren oder -einschränkungen können für manche Menschen, die (politischen) Freiheitsentzug erlebt haben, ein enormer Trigger sein. Für Menschen mit Diskriminierungserfahrung kann dies eine erneute Ohnmachtserfahrung darstellen, die sie ebenfalls stark triggern kann und Symptome wie Angst, Panik, körperliche Beschwerden, Schlafstörungen etc. zur Folge hat. Mehr dazu lesen Sie hier.

Aufmerksamkeit bedarf es schließlich unbedingt auch in Zeiten der Corona-Krise mit Blick auf junge Menschen mit Fluchtgeschichte, die außerhalb Deutschlands in Lagern untergebracht sind. Kapazitäten, die durch den Rückgang der umF in der Kinder- und Jugendhilfe frei geworden sind, können genutzt werden, diesen eine sichere Bleibe zu gewähren. Eine bundesweite Pressemitteilung zu diesem Thema kann unter folgendem Link abgerufen werden:
https://b-umf.de/p/wir-haben-mehr-platz-aufnahme-von-50-minderjaehrigen-voellig-unzureichend/